BEYOND ONKOMM: Onkomm-Student Alex zwischen zwei Welten: Blaulicht und Studium
„Mach Dein Ding“, rät Dokufilmer Alex und onkomm-Student: Trotz aller Sorgen wollte er nicht warten, bis alles perfekt ist. Ein persönlicher Einblick.
Ein Beitrag von Alexander Schmitt
Mittwoch, 21. Februar 2024
Onlinekommunikation
Ein Gastbeitrag von Alexander Schmitt, Produzent von „Retter von Wetzlar“ und Onkomm-Student
Es ist noch dunkel draußen, als mein Wecker klingelt. 5:00 – eine für mich sehr ungewohnte Uhrzeit und doch fällt es mir leicht, aus dem Bett zu kommen. Denn der erste Drehtag des zweiten Teils meiner Doku-Serie „Retter von Wetzlar“ steht an. Und nichts macht mir gerade mehr Spaß.
Nach einer Stunde Fahrt von Frankfurt am Main aus sehe ich das beleuchtete Logo der Malteser-Wache in Wetzlar. Dort angekommen mache ich mir erstmal einen doppelten Espresso. Eigentlich bräuchte ich kein Koffein bei den Drehs, weil mir der Spaß an diesem Projekt genug Energie gibt.
Die Kameras für die Reportage sind aufgeladen, doppelt gecheckt und ich warte auf meine beiden Protagonisten Luca und Janne.
Als Reportagen-Autor bin ich immer dabei, bleibe aber eine Randfigur
Bis Luca und Janne kommen, beobachte ich das Treiben auf der Wache. Zwei andere Sanitäter aus der Nachtschicht sitzen sich gegenüber und erzählen von ihren vergangenen Einsätzen. Sie lachen dabei sehr viel. Was für Außenstehende befremdlich wirkt, ist Mittel zur Verarbeitung schlimmer Einsätze. Ich weiß das mittlerweile.
Als Reportagen-Autor bin ich immer dabei, bleibe aber eine Randfigur. Ich bin nie der Superheld, sondern der, der diesen groß und bekannt macht. Mein Mentor sagt immer, dass ich anderen mit meinen Filmen die Bühne gebe. Ich mag diese Metapher.
Bei meinen Reportagen beobachte ich, stelle in den richtigen Momenten Fragen und schneide später einzelne Szenen zueinander wie ein Chirurg.
Es ist ein feines Handwerk wie bei einem Arzt, aber auch Storytelling. Die Knochen und Sehnen sind bei mir die einzelnen Videoschnipsel und Musik. Hinzu spiele ich mit Emotionen, probiere spielerisch aus, verwerfe immer wieder Dinge und darf dabei nie aus den Augen verlieren, dass der Film nicht nur mir gefallen darf, sondern ganz vielen anderen auch.
Es gibt tausende Möglichkeiten, aus Rohbildern einen Film zu kreieren. Wenn zehn Maler in einem Raum vor fünf Farben und drei verschiedenen Arten von Pinseln sitzen – entstehen trotz gleicher Ressourcen zehn völlig unterschiedliche Bilder. Weil das Gemälde mehr als bloße Farben und Pinselstriche zeigt, sondern das Innenleben des Künstlers. So ist es bei Reportagen auch, ich bin vielleicht 20% Journalist, aber zu 80% in künstlerischer Mission tätig.
Zurück zur Malteser-Wache:
Luca kommt mit einem leichten Grinsen auf die Wache. Janne folgt ihm. Wir kennen uns alle zumindest ein bisschen. Sie wissen, dass ich eine Doku produziere, die authentisch und fachlich einwandfrei ist. Ich kann mich darauf verlassen, dass sie mich bei schwierigen Einsätzen mit aufbauenden Gesprächen unterstützen.
Dass wir alle im etwa gleichen Alter sind, hilft natürlich. Mittlerweile haben wir eine gemeinsame WhatsApp-Gruppe, schicken uns Sticker zu und necken uns hin und wieder gegenseitig.
Diese gegenseitige Sympathie nimmt den Druck aus den Dreharbeiten. Wenn die Doku schlecht wird, aber alle Spaß hatten, bin ich nicht gescheitert, sondern hatte einen schönen Tag. Diese Haltung musste ich mir allerdings erst angewöhnen.
Wenn ein Einsatz kommt, muss alles sitzen
Die Schicht beginnt um 7:00. Ich habe die Zeit davor genutzt, den Rettungswagen mit GoPros auszustatten. Außerdem bekam die Rettungssanitäterin Janne eine Actioncam – die sie mit einem Gurt befestigt am Oberkörper trug. Später im Film sieht man Videoausschnitte aus ihrer Perspektive, so nehme ich den Zuschauer direkt ins Geschehen mit.
Jeder Sanitäter ist auch mit einem Melder ausgestattet, der unüberhörbar piepst, wenn wir zu einem Einsatz alarmiert werden. Auch ich habe für die Dreharbeiten einen solchen Melder bekommen.
An diesem Tag vergingen zunächst Minuten, dann Stunden und es passierte: nichts. Gerne scherzen Sanitäter, dass es Praktikanten und Kameraleute gebe, die unterbewusst dafür sorgen würden, dass es zu keinem einzigen Einsatz in einer Schicht komme. Ich gehöre anscheinend nicht zu dieser Personengruppe, denn später – um die Mittagszeit – piepsen unsere Melder. Adrenalin schießt durch meinen Körper.
Viel Zeit zum Nachdenken bleibt nicht, ich muss jetzt funktionieren. Bei einem Kinofilm lässt sich die Szene erneut drehen, wenn das Bild unscharf ist. Die Reportage ist hingegen so schwierig, weil sie echt ist und wir keine Einsätze nachstellen können. Wenn ein Einsatz kommt, muss alles sitzen.
Wir fahren mit Blaulicht und Sirene zu einer Frau mit starken Schmerzen.
Am Einsatzort angekommen, empfängt uns ein Mann mit grauen Haaren in seinem gepflegten Vorgarten. Er ist schätzungsweise 80 Jahre, wirkt unaufgeregt.
„Dürfen wir mit unseren Kameras bei Ihnen drehen?“, frage ich ihn. „Ja, ich habe nichts dagegen.“, erwidert er uns. Was wir zu diesem Zeitpunkt nicht wussten, ist, dass er das gar nicht entscheiden durfte. Dazu aber gleich mehr.
Es sind Momente, die mich sentimental stimmen
Er führt uns in sein Wohnzimmer zu seiner etwas jüngeren Frau, die starke Flankenschmerzen hatte. „Flanken“ ist eins von unzähligen medizinischen Fachbegriffen im Rettungsdienst und steht für den Bereich des seitlichen Rückens.
Ich nahm die Rolle des Beobachters ein und stellte mich ein wenig abseits mit meiner Kamera in die Ecke des kleinen Raumes. Luca und Janne sprachen mit der Patientin. Draußen parkte der Rettungswagen mit angeschaltetem Blaulicht, ein paar Nachbarn, die zufällig vorbeiliefen, schauten besorgt in Richtung des Mehrfamilienhauses. Das Blaulicht spiegelt sich in den Fensterscheiben.
Das Ehepaar erinnerte mich ein wenig an meine eigenen Großeltern. Die Frau saß mit starken Schmerzen auf dem Sessel, der Ehemann versuchte zu trösten, stand aber auch etwas verloren im Raum. Die Frau versuchte dennoch stark zu sein – immerhin sollte sich der Ehemann keine Sorgen machen.
Beim Abtasten am Rücken wurden die Schmerzen für die Frau größer, gerade zu unerträglich.
Ansage von Luca nach einigen Untersuchungen: „Sie müssen mit uns mitfahren, ins Krankenhaus“.
Der Ehemann fragte, ob er auch mit in die Klinik solle – einmal, zweimal und, trotz eindeutigem „Nein“ als Antwort, fragte er noch ein drittes Mal. Die ältere Frau mit den Flankenschmerzen flüsterte den Sanitätern zu: „Mein Mann hat Demenz“. Jetzt wurde auch klar, warum er so oft nachgefragt hatte.
Außerdem wurde uns klar, dass er deshalb nicht darüber entscheiden konnte, ob wir den Fall ausstrahlen dürfen. Daher haben wir uns natürlich nachträglich die Genehmigung von der Ehefrau eingeholt.
Der demente Ehemann nahm seine kranke Frau zum Abschied in den Arm. Beide waren auf unterschiedliche Art krank und trotz dessen – oder gerade deshalb – noch im hohen Alter füreinander da.
Es sind Momente wie diese, die mich sentimental stimmen. Werde ich im hohen Alter noch jemanden an meiner Seite haben, der trotz Krankheit bei mir bleibt?
Mein Interesse galt nicht den neusten Blockbustern, sondern emotionale Dokus
„Was ist deine Leidenschaft?“ Diese Frage konnte ich nie wirklich beantworten – nun gut, ich bin gerade einmal 23 Jahre alt.
Während sich früher in der Schule alle über Hollywood-Filme unterhielten, saß ich stumm daneben. Mein Interesse galt nicht den neusten Blockbustern, sondern emotionalen Dokus. Über Polizei, Feuerwehr und allgemein über Menschen und ihre Geschichten.
Heute mag ich besonders gerne Reportagen von den öffentlich-rechtlichen Sendern. Gestern erst konnte ich nicht anders, als mir alle 12 Folgen von „Down the Road“ am Stück anzuschauen. Eine Doku-Serie über Menschen mit Down-Syndrom, die zusammen eine Reise unternehmen.
Mein Fluch und Segen zugleich ist, dass ich nicht lange passiv sein kann. Der Fluch: Ich wirke auf manche getrieben und komme selten zur Ruhe. Der Segen: Während andere lange überlegen, mache ich einfach mal. So war es hier auch: Ich rief einen Freund an und sagte: „Wir machen jetzt auch mal eine Doku.“
Wir hatten rund 50 Zuschauer, wobei ein Großteil wir selbst und meine Familie waren
Schon in meiner frühen Kindheit habe ich mir Geschichten ausgedacht und später auch mit einer analogen Videokamera gefilmt. Einige Jahre vergingen. Mit einem damaligen Freund haben wir dann schon etwas professioneller eine Kochsendung für den „Offenen Kanal“ umgesetzt – „Alex: Kochen mit Herz“, hieß sie.
Wir hatten rund 50 Zuschauer, wobei ein Großteil wir selbst und meine Familie waren. Zugegeben: Den Deutschen Fernsehpreis hätten wir damit nicht gewonnen. Doch es war ein Anfang.
Weitere Jahre vergingen: 2018 habe ich mein erstes „Taschengeld“ mit Hochzeitsvideos verdient. Den Schnitt habe ich mir selbst beigebracht und die grobe Richtung stimmte: nämlich immer weiter nach vorne.
Pubertät, Schulabschluss und große Krisen später kamen dann.
Die Retter von Wetzlar
Ich wusste, dass eine eigene Doku zu machen nicht einfach wird. Normalerweise umfasst eine solche Produktion mehrere Mitarbeiter und ein mittelhohes Budget. Doch ich habe das kalte Wasser förmlich gesucht und bin dann im Frühling 2023 reingesprungen.
Nach etlichen Telefonaten mit der Pressestelle von Malteser und jeder Menge Überzeugungsarbeit bei Malteser und dem Landkreis hatte ich die Drehgenehmigung in der Tasche.
Ich kann es nicht anders sagen: Mir ist der Hintern auf Grundeis gegangen.
Die Angst zu scheitern
Ich hatte jedoch immer große Angst zu Scheitern. Nachdem ich mich von meiner besten Seite präsentiert habe, das Projekt bei Malteser vorstellte und mir selbst hohe Ziele gesetzt hatte, kamen Selbstzweifel auf.
Was ist, wenn ich die Dreharbeiten nicht durchhalte? Mir übel wird? Oder technische Probleme auftreten: Akkus ausfallen?
Was ist, wenn ich zu wenig Erfahrung habe und nicht gut genug für ein solch großes Projekt bin?
Was ist, wenn es Hasskommentare gibt und die Doku ein Flop wird?
Es gibt Situationen, in denen ich von mir überzeugt, souverän und selbstsicher wirke. In schlechteren Momenten hinterfrage ich aber mein gesamtes Tun und möchte aufgeben. Zu meinem großen Glück hatte ich immer Weggefährten, die mich mental unterstützt haben: Ein Kollege, der mich bei der Doku begleitet hat, meine Familie und meine Tante.
Es gab zumindest immer einen guten Freund und eine gute Freundin, die nie enttäuscht gewesen wären. Ob die Doku nun hunderttausend Klicks hat oder nur 100. Wenn die Selbstzweifel zu groß werden, greife ich auch immer noch zum Hörer – und rufe jemanden an, der mir nahesteht.
Die „Retter von Wetzlar“ wurden ein Erfolg: Die erste Folge zählt (Stand: Februar 2024) 185.000 Aufrufe und jede Menge lobender Kommentare. Von außen betrachtet hat sich mein Mut ausgezahlt, denn ich habe von vielen Seiten Anerkennung dafür bekommen.
Vom Studenten, der Dokus macht
Ich studiere Onlinekommunikation und es wird nicht mehr lange dauern, bis ich meine Bachelorarbeit schreibe. Das Studium hat mich motiviert, mein eigenes Ding zu machen. Das bringt die Ausrichtung des Studiengangs mit sich: Studierende arbeiten in Lernagenturen und sind gezwungen, selbständig zu arbeiten. Später gibt es fast nur Wahlmodule und man kann sich „sein eigenes Studium“ zurechtbasteln.
Zugegeben habe ich mir auch einiges selbst beigebracht und mein Mentor hat mich dabei unterstützt. Die Doku wurde von Mittelhessen.de, der Frankfurter Neuen Presse und der Hessenschau aufgegriffen. Die Berichterstattung kam nicht von ungefähr, sondern war Ergebnis einer bis heute andauernden PR-Arbeit. Doch dazu vielleicht in einem anderen Artikel mehr.
Wir haben für Folge 2 der Doku einen Kooperationspartner, der uns finanziell unterstützt. Ein Traum geht in Erfüllung.
Tipps für andere Studenten
Vielleicht liest du als Studentin oder Student gerade diesen Blogpost und hast auch einen Traum. Du möchtest etwas unbedingt ausprobieren oder hast eine Idee, von der du überzeugt bist.
Dazu kann ich dir eines sagen: Probiere es aus!
Ich habe mit meinen 23 Jahren schon so vieles gemacht, womit ich richtig auf die Schnauze geflogen bin. Fehler, Brüche und Neuanfänge sind für mich Teil meines noch jungen Lebens geworden.
Aber kein Rückschlag schmerzt auf längere Sicht mehr, als wenn du deinen Traum mit ins Grab nimmst und nie weißt, ob daraus etwas Großes hätte werden können. Viele warten darauf, perfekt zu sein, um anzufangen. Wenn es danach geht, würde ich mit 80 noch über Dokus nachdenken, anstatt welche zu machen.
Und wenn das Projekt tatsächlich gescheitert wäre, hätte mich das zugegeben einige Wochen heruntergezogen. Und dann? Dann hätte ich etwas anderes ausprobiert! So what.
Über den Gastautor
Alex ist im Februar 2000 in Frankfurt am Main geboren und studiert seit 2020 Onlinekommunikation an der Hochschule Darmstadt. Nach kurzen Ausflügen zu Zeitung, Radio und Fernsehen macht er seit 2022 eigene Reportagen für YouTube.
Seine Vergangenheit und ein einige Jahre zurückliegenden Schicksalsschlag motivierten ihn, seine verbleibende Zeit bestmöglich zu nutzen. Roadtrips, Weinabende mit Freunden, Festivals und eben auch Reportagen geben seinem Leben Sinn.
Seine Doku „Retter von Wetzlar“ geht 2024 weiter – zu sehen bei YouTube.
Kontakt: alexanderschmitt.1@web.de